Nach über 40 Jahren: 29. „Gscheidle-Marke“ aufgetaucht!
Zur Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an den Olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau sollte am 10. April 1980 eine Sonder-Zuschlagsmarke zu 60+30 Pf mit einer wehenden Olympia-Fahne als Motiv in einer Auflage von 7,5 Millionen Stück erscheinen. Für das schlichte Design gab es zwei Entwürfe, die beide die Nominale „60+30“ und die Inschriften „Deutsche Bundespost“ und „Für den Sport“ aufwiesen. Auf dem 1. Ent- wurf, in kräftigem Blau einschließlich des Randes gehalten, ist eine weiße Fahne mit den fünf Olympischen Ringen in verschiedenen Farben zu sehen. Der 2. Entwurf, der von Prof. Günter Jacki (Stuttgart) stammt, ist dezenter und stärker auf die Olympischen Ringe fokussiert. Er wurde schließlich für den Auflagendruck ausgewählt. Parallel dazu hielt ein kriegerisches Ereignis die Welt in Atem: der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan im Dezember 1979. US-Präsident Jimmy Carter brachte erstmals im Januar 1980 einen Boykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau als Reaktion auf den Einmarsch ins Gespräch. Die Bundesregierung, die sich ihrem Bündnispartner USA verpflichtet fühlte, schloss sich dem Boykottaufruf an und wünschte sich eine gleichlautende Entscheidung des deutschen NOK. Die Vorbereitungen für die Herausgabe der Sonder-Zuschlagsmarke waren zu diesem Zeitpunkt fast abgeschlossen. Die Bundesdruckerei Berlin hatte bereits die gesamte Auflage in Druckbogen zu 100 Stück (zwei 50er-Schalterbogen mit den Formnummern 1 und 2) hergestellt. Da davon auszugehen war, dass sich das nationale NOK für einen Boykott entscheidet (tatsächlich wurde es bei der Abstimmung am 15. Mai 1980 mit 59:40 Stimmen relativ knapp), wurde die Ausgabe der Olympia-Marke gestrichen. Die bereits an die Postämter ausgelieferten Marken wurden vor dem geplanten Ausgabetag am 10. April 1980 zurückgezogen und eingestampft.
Neben den im Bonner Archiv für Philatelie und im Museum für Kommunikation Berlin aufbewahrten drei Bogen entgingen drei weitere komplette Andruckbogen mit jeweils 50 Stück der Vernichtung, die dem damaligen Bundespostminister Kurt Gscheidle geliefert worden sein sollen. Etliche Exemplare der unverausgabten Olympia-Marke (MiNr. XIII) gelangten in den Besitz der Familie Gscheidle. Neben Ehefrau Elisabeth nutzte vor allem der in München lebende Sohn Thomas Gscheidle die Sonder-Zuschlagsmarke versehentlich für die Privatkorrespondenz. Diesen Sachverhalt untermauern die meisten der bis heute bekannten gestempelten „Gscheidle-Marken“. 14 (!) tragen einen Maschinen-Werbestempel vom Postamt BPA München. Mindestens neun, wahrscheinlich sogar zehn wurden in Wildbad im Schwarzwald, dem Wohnort von Bundespostminister Gscheidle, abgestempelt. Dazu gehört der 3er-Streifen auf Briefstück, die einzige Einheit dieser unverausgabten Marke. Er stammt von einem Brief, den Gscheidles Schwester nach Bad Honnef schickte, wo der ehemalige Bundespostminister seinen Dienstwohnsitz hatte. Das bei Steltzer im August 1983 versteigerte Exemplar zeigt nur einen Werbestempeleinsatz. Drei weitere Exemplare haben Maschinen-Werbestempel von Mannheim (zwei) und Saarbrücken. Auch Andreas Schäfer, ein damals im Harz lebender Studienkollege von Gscheidle jr., verklebte nach Recherchen der Deutschen Briefmarken-Revue mindestens sechs weitere „Gescheidle-Marken“. Die erkennbaren Stempeldaten liegen zwischen dem 15. Juni 1982 und 23. Februar 1983, meist in der Vorweihnachtszeit 1982.
In dieses Muster passt auch das neu entdeckte Exemplar der „Gscheidle-Marke“ auf Briefstück mit Zusatzfrankatur Bund MiNr. 848, abgestempelt mit Maschinen-Werbestempel „8000 BPA München me 11.1.83-17“. Es wurde von BPP-Verbandsprüfer Hans-Dieter Schlegel, dem wir für die Abbildung danken, für echt befunden. Es ist das 28 gestempelte Exemplar – lose, auf Briefstück oder auf den wenigen erhalten gebliebenen Belegen. Dazu kommt noch ein postfrisches Exemplar, das letztes Jahr beim Auktionshaus Andreas Schlegel zu einem Rekordpreis versteigert wurde.